In Madrid kann man entweder seine gesamte Zeit damit verbringen, von Museum zu Museum zu tingeln, den ganzen Tag Tapas und Weine zu verkosten oder sich völlig der interessanten Geschichte hinzugeben. Selbst als Pilgerort eignet sich die Stadt, oder als Party-Reiseziel oder keines davon. Denn Madrid hat die seltene Eigenschaft, für jeden Geschmack etwas zu bieten zu haben und dabei gleichzeitig ungezwungen zu wirken. Baltic Outlook Autorin Nadīna Elekse findet, dass man seine ganz eigene Meinung zu Madrid haben kann, doch wenn die Stadt etwas ist, dann einfach nur cool.
Kulinarische Schwelgereien
In der Abenddämmerung erreiche ich meine Unterkunft im Stadtzentrum und mache mich zu Fuß auf, um die Gegend zu erkunden. Mein Hotel liegt ganz in der Nähe der lebhaften Gran Vía, doch ich schlage den Weg zum Mercado San Miguel ein, einer der besten Lebensmittelmärkte Europas und ein Paradies für Tapas-Fans. Zur goldenen Stunde ist diese Gegend Madrids ganz besonders zauberhaft. Es liegt aber auch eine Atmosphäre in der Luft, die an die Ruhe vor dem Sturm erinnert: Die Zeit zwischen der Arbeit und dem Abendessen. Selbst auf der Plaza Mayor, dem großen Platz im Herzen von Madrid, ist es noch ruhig.
In Spanien ist die Nacht eigentlich immer noch jung und es ist nie zu spät fürs Abendessen, ein Getränk oder Schokoladenchurros. Meine Reservierung im DSTAgE Restaurant für ein 18-Gänge-Menü ist erst um 21:30 Uhr. Die spanische Kultur, Geschichte und Architektur sind zwar in aller Welt bekannt, ich muss aber gestehen, dass die vielseitige und einfallsreiche Restaurantszene Madrids meine Vorfreude auf die Reise noch einmal gesteigert hat. Die spanische Küche ist für ihre frischen, hochwertigen Zutaten bekannt. Neben internationalen Einflüssen versprechen neue Trends und Experimente von mit Michelinsternen ausgezeichneten Köchen eine ganz neue Herangehensweise an diese Klassiker.
Im DSTAgE beispielsweise sind definitiv japanische Einflüsse in den Fischgerichten spürbar und auf der Karte findet man eine Reihe typischer mexikanischer Gerichte neben klassischen spanischen Speisen. Im Zentrum des Ganzen steht die baskische Chorizo, eine typische Wurst aus Schweinefleisch, die in der spanischen sowie mexikanischen Küche nicht fehlen darf und für jeden Fleischgenießer das höchste der Gefühle darstellt. Nachdem wir im Anschluss an diesen Gang ein paar Floskeln wie „Was könnte es besseres geben als eine gute Chorizo“ ausgetauscht haben, kommt der Kellner mit einem sichtbar verschmitzten Lächeln hinter seiner Maske an unseren Tisch. „Habt ihr gemerkt, dass ihr gerade gar kein Fleisch gegessen habt?“ Es ist ein guter Trick, das weiß er ganz genau. Küchenchef Diego Guerrero hat ohne Frage ein paar erstklassige vegane Überraschungen parat.
Zu den weiteren originellen Kompositionen im DSTAgE gehören schwarzer Knoblauch mit Hefe und Essig, Zwiebel und Banane und ein Dessert aus Kartoffeln, Trüffeln und Honig. Der Wein wird äußerst großzügig ausgeschenkt und auch an den anderen Tischen wird es bald lauter und lebhafter. Ungefähr beim 14. Gang fühlen wir uns langsam ziemlich satt und brauchen mehr Zeit, um mit dem nächsten Gang zu beginnen. Eine Kellnerin kommt mit verzagtem Gesichtsausdruck an unseren Tisch: „Mochtet ihr das Essen nicht?“ Wir versichern ihr, dass es ganz phantastisch war, wir es aber einfach nicht gewöhnt sind, um Mitternacht 18 Gänge zu verspeisen! Das scheint sie zu beruhigen. Unser Abenteuer endet um ein Uhr nachts und so kann man unseren ersten Abend in Madrid einfach nur als bombastisch beschreiben.
Coole Museen und Parks
Als ‚Angriffsplan‘ bezeichne ich meinen Besuch im Prado am nächsten Tag, das größte und bekannteste Museum Madrids. Ich nehme als versierter Museums-, Kunst- und Geschichtsfan Museumsbesuche immer ziemlich ernst. In Historischen Museen erfährt man mehr über die Ereignisse, die eine Nation zu der gemacht haben, die sie ist, während Kunstmuseen auf eine ganz eigene Art und Weise den Charakter der Menschen repräsentieren, die in der Gegend leben. Zwar gab es verschiedene Kunstbewegungen, wie die Romantik oder den Impressionismus, die weltweit die Kunstszene aufgewirbelt haben, doch die Interpretation dieser Trends durch die einzelnen Künstler unterscheidet sich voneinander. Dank der Farben, Motive und Themen eines Gemäldes erfährt man viel über den Ort, an dem es entstanden ist.
Nachdem ein Besuch im Kunstmuseum eine Weile her ist und all die Kunstwerke in meinem Kopf zu einem großen Bild verschmolzen sind, erinnere ich mich an die einzelnen Museen oft in Form einer Farbe. Nach dem Besuch des Nationalen Kunstmuseums in Mexiko Stadt war ich von der allgegenwärtigen Präsenz der Farbe Gelb in den Kunstwerken überwältigt, während das Lettische Nationalmuseum für Kunst in Riga seinerseits von Grün- und Grautönen bestimmt wird und Pastelltöne mich immer an die Pariser Museen erinnern. Doch im Prado ist beinahe jedes Gemälde in einem sehr dunklen und intensiven Rot gehalten, das einen an Rotwein oder Mahagoni denken lässt. Wie ich mir vorher schon gedacht hatte, ist der Prado ein wichtiger Ort, um den wahren Charakter von Madrid zu verstehen.
Das Museum wurde von König Ferdinand VII von Spanien gegründet und 1819 eröffnet: Das erste Museum für Schöne Künste in Spanien und eines der ersten öffentlichen Museen Europas. Das Kronjuwel des Prado ist seine Vielfalt an Werken von Velázquez, Goya und Rubens. Außerdem befindet sich das Museum im Besitz der größten Sammlung von Papierzeichnungen von Goya sowie wichtiger Werke von Hieronymus Bosch, die wohl die meisten Besucher anziehen.
Ähnlich wie der Prado zählt auch der Buen Retiro Park zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten von Madrid. Im Park stehen Seite an Seite der Palacio de Cristal (Glaspalast) und der Palacio de Velázquez. Beide Bauwerke wurden als Ausstellungsorte im 19. Jahrhundert erbaut und strahlen eine unverkennbare und geheimnisvolle Nostalgie aus, die man nur in Gebäuden, auf Fotografien und in der Literatur dieser Zeit findet. Heute befinden sich beide unter der Schirmherrschaft des Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía (Reina Sofía Museum) und beherbergen erfrischend moderne Kunstausstellungen und Installationen. Diese kleineren Räumlichkeiten dienen als Tor zum Hauptgebäude der Reina Sofía, dabei gibt es kaum etwas, das einen auf ein derartig gewaltiges Kunsterlebnis vorbereiten kann.
Das Reina Sofía Museum befindet sich in einem ehemaligen Krankenhaus, was die vielen Gänge und Nebenräume erklärt, bietet aber auch eine faszinierende und bizarre Verbindung zwischen moderner Kunst und der menschlichen Denkweise mit all ihren Höhen und Tiefen. Ich kann nicht umhin, dieses Museum als Labyrinth unserer Vorstellung vor meinem inneren Auge zu sehen: Kreativität und Genialität, die Seite an Seite mit den dunklen, bewegenden und krankhaften Bereichen unseres Gehirns existieren.
Wer auf dem Weg nach Hause noch ein wenig frische Luft schnappen will, sollte am Atocha Bahnhof in Richtung Innenstadt anhalten. Dort haben 7.000 Pflanzen 400 verschiedener Arten aus Amerika, Asien und Australien zwischen Hochgeschwindigkeitszügen und eiligen Pendlern ein Zuhause gefunden. Wenn man mal genau darüber nachdenkt, erscheint das gar nicht so eigenartig: Warum sollte es eigentlich nicht einen Botanischen Garten in einem Bahnhof geben?
Ausflug in die Umgebung
Im Großraum Madrid gibt es zahlreiche kleinere Städte, die einen Ausflug wert sind. Wir fahren zum Beispiel nach Segovia, Weltkulturerbe mit berühmtem Aquädukt und der Alcázar (Festung) von Segovia.
Der Aquädukt ist aus vielerlei Gründen bekannt. Zunächst einmal verläuft er direkt durch die Stadt, was zu Zeiten der Römer eher ungewöhnlich war und auch heute als ziemlich untypisch gilt, da ein Großteil der alten römischen Aquädukte mit den Jahrhunderten abgerissen wurde. Außerdem wurden die gewaltigen Granitblöcke ohne die Verwendung von Mörtel oder Schellen aneinander befestigt. Sie halten einfach nur dank ihrer ausgleichenden Kräfte. Im Schatten dieses vor Jahrtausenden entstandenen gigantischen Meisterwerks menschlicher Genialität befinden sich ein Marktplatz, ein Tourismusbüro, kleine Cafés, Geschäfte und Restaurants.
Am Wochenende wirkt Segovia morgens um zehn noch ziemlich verschlafen – wahrscheinlich erholen sich die Menschen noch von ihrem späten Abendessen am Vortag. Ich habe also genug Platz und Zeit, um die Stadt und ihren Marktplatz zu erkunden und mir ganz genau die Kathedrale von Segovia anzusehen. Sie wurde im späten gotischen Stil erbaut, was sich in ihren hellen Steinen widerspiegelt. Direkt fühlt sich die Luft ganz anders an und auch die Temperaturen sind dank der Höhenlage und Bergluft kühler und frischer. Ich werde so unsanft daran erinnert, dass ich am Morgen nicht in die Wetter-App geguckt habe.
Auf der anderen Seite der Stadt steht die Alcázar von Segovia, einst eine arabische Festung, später ein Palast, dann ein Gefängnis und schließlich eine Militärakademie. Heute ist hier ein Militärmuseum untergebracht. Man erzählt sich, dass dieses Bauwerk als Inspiration für das Schloss der Bösen Königin in Walt Disneys Schneewittchen und die sieben Zwerge diente. Keiner weiß genau, ob es sich dabei nur um eine Legende handelt oder ob etwas Wahres dran ist, aber die Burg erinnert wirklich an ein Märchen und so würde es mich nicht wundern, wenn sie tatsächlich als Vorbild für diese Geschichte genommen wurde. Nur ein paar andere Touristen sind so früh am Morgen mit dem Zug in die Stadt gekommen, also gehören wir zu den ersten, die einen Kaffee und ein paar Churros und heiße Schokolade im Café am Palast bestellen. Wir werden mit einem atemberaubenden Blick auf die Burg und die Stadt im kühlen Morgennebel belohnt.
Eine andere Bahn am frühen Morgen bringt uns nach Toledo, eine südlich von Madrid gelegene Stadt. Sie ist das gelobte Land für Geschichtsfans. Die UNESCO hat die gesamte Stadt zum Weltkulturerbe ernannt und mittendrin steht das eindrucksvollste Museum für Militärgeschichte in ganz Spanien, das El Greco Museum, neben einigen atemberaubenden Kathedralen und Klöstern. In Toledo haben Christen, Juden und Moslems stets friedlich miteinander gelebt und alle drei Religionen sind heute noch präsent. Die Stadt ist für ihren Manchego-Käse und ihr Marzipan berühmt. Es gibt zwar verschiedene Orte auf der Welt, die behaupten, das Marzipan erfunden zu haben (die Geschichten der Nonnen, die Mandeln mit Zucker vermengten, weil kein Weizen für Brot zu kriegen war, kursieren sowohl in Toledo als auch in Sizilien), das Mazapán de Toledo verfügt aber sogar über den Status einer geschützten Ursprungsbezeichnung. Genauso wie Cognac, Armagnac und Champagner, die nur als solche bezeichnet werden dürfen, wenn sie aus einer ganz bestimmten Region stammen.
Anders als in Segovia ist man in Toledo schon früh auf den Beinen. In der Stadt ist einiges los, die Marzipangeschäfte sind voller Leute und Gruppen werden von Tourguides durch die Sehenswürdigkeiten geführt. Zwar gibt es hier historische Architektur, Kathedralen und Museen in Hülle und Fülle, wenn man sich etwas in Toledo aber nicht entgehen lassen sollte, dann ist es ein kleiner Laden namens Museo del Queso Manchego, das Museum des Manchego-Käses. Hier kann man regionalen Käse, Wein, Backwaren, Konfitüre und Marmelade, Süßigkeiten und Craft-Bier kaufen. Außerdem gibt es eine kleine Ausstellung zur Geschichte und Herstellung des Manchego. Ich verlasse das Museo del Queso Manchego und Toledo mit einem kleinen Glas Paprikakonfitüre und nehme mir vor, zu lernen, wie man diese selbst macht.
Erfahren Sie mehr über Madrid im Baltic Outlook.